Abfallverbringung: Neue Codes für alte Kunststoffe
Von Dr. Anno Oexle, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Köhler & Klett Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB
Ohne Übergangsfrist wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2021 insgesamt neun neue Einträge für Kunststoffe in die Anhänge der EU-Abfallverbringungsverordnung aufgenommen. In der Praxis führt dies zu Verunsicherung, weil noch nicht hinreichend klar ist, welche Auswirkungen die Neuregelungen haben. Dr. Anno Oexle, Abfallrechts-Experte der Kölner Kanzlei Köhler & Klett und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft e.V. (DGAW), erläutert die Hintergründe.
Die Systematik der neuen Einträge
Wegweisend ist zunächst die Erkenntnis, dass bei der Einstufung von Kunststoffen in das Listensystem der EU-Abfallverbringungsverordnung seit dem 1. Januar 2021 maßgeblich ist, ob die Abfälle innerhalb der EU oder in Drittstaaten verbracht werden sollen.
Für die Einstufung von Kunststoffabfällen, die innerhalb der EU verbracht werden sollen, kommen die Einträge EU3011 (Grüne Liste), Nummer 4 Buchstaben a) bis c) des Anhangs IIIA (Grüne Liste), AC300 (Gelbe Liste) und EU48 (Gelbe Liste) in Betracht. Die anderen Einträge, insbesondere der Eintrag B3011 (Grüne Liste) mit seinen besonderen Einschränkungen, gelten nur für den Export in Drittstaaten.
Die Fremdstoffproblematik
Sollen zur Verwertung bestimmte Kunststoffabfälle ohne Notifizierung innerhalb der EU grenzüberschreitend verbracht werden, muss eine Einstufung in die Einträge EU3011 oder Nummer 4 Buchstaben a) bis c) des Anhangs III erfolgen. Über die Auslegung dieser Einträge wird gegenwärtig allerdings kontrovers diskutiert. Während etwa der BDE in einer Mitteilung (BDE-direkt 69/2020) darauf hinweist, dass die bestehende Rechtslage durch diese neuen Einträge im Ergebnis nicht verändert wurde, spricht die SAM Sonderabfall-Management GmbH (SAM aktuell Nr. 5/2020) von einer Verschärfung der bisherigen Regelungen.
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die weitgehend unbestimmte Anforderung, dass die verbrachten Kunststoffe „nahezu frei von Verunreinigungen und anderen Arten von Abfällen“ sein müssen. Konkretisiert wird dies in einer gesetzlichen Anmerkung durch einen Verweis auf „internationale und nationale Spezifikationen“. Darunter dürften auch allgemein anerkannte Spezifikationen der beteiligten Wirtschaftskreise (z.B. die Produktspezifikationen der Systeme) fallen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die im 6. Erwägungsgrund der Deligierten Verordnung (EU) 2020/2174, also der Verordnung, mit der die neuen Abfallschlüssel in die EU-Abfallverbringungsverordung eingeführt wurden, zum Audruck gebrachte Zielsetzung des Unionsgesetzgebers, die bisherigen Kontrollverfahren bei Verbringungen innerhalb der EU „weitgehend“ beizubehalten. Im Widerspruch dazu steht der Entwurf der Anlaufstellenleitlinie 12 vom 12. November 2020, der – ohne dies näher zu begründen – einen für alle Verwertungsverfahren einheitlichen Fremdstoff-Grenzwert von 2 Prozent der Trockenmasse vorsieht. Dieser Entwurf hat allerdings in der Anlaufstellensitzung am 14. Januar 2021 keine Mehrheit gefunden und ist daher nicht verabschiedet worden.
Fazit
Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten. Festzuhalten ist, dass die entstandenen Rechtsunsicherheiten bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Kunststoffen nicht geeignet sind, die Kreislaufwirtschaft innerhalb der EU zu fördern. Gleiches gilt für die überzogene und lebensfremde Forderung nach einer Fremdstoffgrenze von 2 Prozent, die bei innereuropäischen Verbringungen weder sachlich noch rechtlich zu rechtfertigen ist.
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